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Henning

Hauptsache gesund, das war unser Motto in der Schwangerschaft. Es war uns vollkommen egal, ob es ein Junge oder Mädchen wird. Wir wollten uns überraschen lassen. 

Die Schwangerschaft mit Henning war sehr schön. Am Anfang gab es ein bisschen Übelkeit, aber sonst verlief alles toll. Alle Untersuchen verliefen großartig und uns wurde jedesmal gesagt, das alles in Ordnung ist. Deshalb haben wir uns gegen alle Untersuchungen, außer den Vorgeschriebenen, entschieden. 

In der 36. SSW meinte der Arzt, dass das Baby wohl schon runtergerutscht ist und das wir ein Auge auf meinen Blutdruck halten sollten. 

In der nächsten Woche hat er den Bauch noch einmal gemessen und wurde stutzig, da der Bauch nicht gewachsen ist. Ich sollte am nächsten Tag ins Krankenhaus für einen weiteren Ganzkörperscan. 

Mein Mann und ich haben beim Termin im Krankenhaus viel rumgealbert und gelacht. Irgendwann ist mir aufgefallen, dass die Ärztin immer leiser wurde. Als ich fragte ob alles in Ordnung sei, meinte sie, sie müsse einmal ihren Chef dazu holen, um ihre Messungen zu bestätigen. Die ausgelassene Stimmung war schlagartig weg. 

Nachdem der Oberarzt den Scan wiederholt hat, hat er sich zu uns umgedreht und meinte "Wir holen das Baby heute!". Ich war absolut ungläubig. So hatten wir uns unsere Geburt nicht vorgestellt und sicherlich ganz anders geplant. Nachdem der Arzt uns gesagt hat, dass das Baby nicht ausreichend versorgt wird, war aber klar das ein Notkaiserschnitt durchgeführt wird. 

Ich war aufgelöst und habe nur noch geweint, aus Sorge um mein Kind.

Zwei Stunden später saß ich auf dem OP-Tisch und der Anästhesist hat die PDA gelegt. Henning wurde in der 38. SSW mit 2025 g und 47cm Körpergröße geboren. Er war so winzig.

Zu Beginn durfte Henning noch zu mir aufs Zimmer, bis seine Blutzuckerwerte gefallen sind und er zur weiteren Behandlung auf die Säuglingsstation musste. Da ich mich wegen dem Kaiserschnitt nicht bewegen konnte, ist mein Mann bei Henning geblieben. 

Mitten in der Nacht kam er wieder um mir zu erzählen, dass Henning nicht gut Essen konnte und ihm eine Nasensonde gelegt wurde. So lange er die Nahrung bekommt, die er benötigt, war mir das aber egal. 

Am nächsten Tag konnte ich Henning dann endlich auf der Säuglingsstation besuchen und ihn halten. In der Zwischenzeit habe ich große Schmerzen im linken Bein entwickelt. Nach langem hin und her hat sich rausgestellt, dass ich durch den Kaiserschnitt ein Blutgerinnsel im Bein hatte.

auch am dritten Tag war ich wieder bei Henning, hab ihn gehalten und konnte, wie alle frischgebackenen Eltern, nicht aufhören mein Kind anzuhimmeln. Dann gingen plötzlich alle Alarme los und Henning ist blau angelaufen. Sein kleiner Brustkorb hat sich weiter bewegt, aber er schien keine Luft zu bekommen. Die Stationsärztin hat ihn mit Sauerstoff versorgt und Henning hat wieder normal weitergeatmet. Ich konnte nicht aufhören zu zittern. 

Uns wurde dann erklärt, dass solche Aussetzer schon einmal passieren konnten. Er müsse nun 7 Tage dort bleiben. Wenn in den 7 Tagen nichts passiert, könne er dann mit uns nach Haus. Nach vier Tagen hatte er eine weitere Episode. Wieder 7 warten. Nach 4 Tagen wieder das gleiche Spiel. 

in der Zwischenzeit wurden weitere Untersuchungen durchgeführt: MRT, Röntgenbild vom Brustkorb, Ultraschall vom Schädel, Behandlung von Gelbsucht und diverse Blutabnahmen. Alles war in Ordnung. 

Nach 4 weiteren kam eine weitere Episode. Zu diesem Zeitpunkt hat bei uns die Verzweiflung eingesetzt. Wir wollten ihn doch nur mit nach Hause nehmen. Henning hatte aber nach wie vor große Schwierigkeiten mit dem Essen und trotz Ernährung durch die Sonde, hat er immer weiter abgenommen. Zu diesem Zeitpunkt lag sein Gewicht bei 1975g.

Die folgende Nacht war sehr schrecklich für Henning. Er hatte über 10 Episoden und niemand wußte, was die Episoden auslöst. 

Am nächsten Morgen habe ich Henning gefüttert und konnte sehen, dass es wieder losgeht. Ich habe den Chefarzt gerufen, der hinter mir saß. er hat sich Henning geschnappt ihn sofort mit Sauerstoff versorgt. 

Nach der Episode hat er mir mitgeteilt, dass er vermutet, dass Henning Epilepsie hat. Weiter hat er erklärt, dass das Krankenhaus nicht dafür equippt ist, Henning ausreichend zu versorgen und das wir in ein anderes Krankenhaus verlegt werden. Dort könne man alle nötigen Tests durchführen und ihm ausreichend helfen. 

Im neuen Krankenhaus wurde alle erdenklichen Tests durchgeführt und Henning hat für 48 Stunden Phenobarbital bekommen, um die Anfälle zu stoppen. Alle Teste kamen negativ zurück. Es konnte nichts gefunden werden. Henning hatte nach wie vor große Schwierigkeiten mit dem Essen aber keine weiteren Anfälle mehr. Nach zwei Wochen im neunen Krankenhaus standen nur noch die Ergebnisse der genetischen Untersuchung aus. Als Henning genau vier Wochen alt war sollte ich diese erhalten. Als ich in das Besprechungszimmer gekommen bin, drei Ärzte, 4 Krankenschwestern und die Sozialarbeiterin gesehen habe, wußte ich sofort, dass etwas nicht in Ordnung war. Und tatsächlich, der Gentiler hat mir mitgeteilt, dass er etwas gefunden hat. Eine sehr seltene genetische Erkrankung namens 2q23.1 Mikrodeletionssyndrom. Leider könne er mir nicht viel sagen, da er nur 20 Fälle in der medizinischen Literatur finden konnte. Ich war am Boden zerstört. Warum mein Kind? Warum wir? 

Nachdem ich vom Schock erholte hatte, habe ich mir Henning auf die Brust gelegt und habe mich im Internet auf die Suche begeben. Tatsächlich bin ich fündig geworden. Bei FB bin ich auf eine Elterngruppe gestoßen mit 100! Mitgliedern. Das waren immer noch nicht viel, aber zu dieser Zeit der Ungewissheit war diese Gruppe mein Anker und hat mich durch eine der schwierigsten Zeiten meines Lebens begleitet. 

Hennings Krankenhausaufenthalt war jedoch noch nicht vorbei. Aufgrund der Essstörungen musste eine Magensonde gelegt werden. Ein weiterer Schock für unsere kleine Familie. 

Mittlerweile ist Henning 5 Jahre alt und hat viele seiner Startschwierigkeiten überwunden. Aufgrund der genetischen Deletion hat Henning viele Zusatzdiagnosen erhalten. Er hat eine globale Entwicklungsverzögerung, ist non-verbal und trägt immer noch Windeln. Er kann noch nicht laufen, hat einen beidseitigen Spitzfuß und die Epilepsie ist zurückgekommen. Zudem ist er taub auf dem rechten Ohr und teils starke Verhaltensauffälligkeiten. Er hatte mehrere Operationen und ihm mussten unter Vollnarkose mehrere Zähne gezogen werden. 

Diese Reise war nicht immer einfach. Es ist uns jedoch gelungen, ein großartiges Team von Ärzten und Therapeuten für Henning zu finden, die uns gut beraten und unterstützen. 

So ist es Henning nun möglich, sich auf den Knien laufend fortzubewegen, mit ein paar Gebärden zu kommunizieren und ein aufgewecktes und liebenswertes Kind zu sein. Seine Grundeinstellung ist Freude am Leben.

Henning liebt es in den Kindergarten zu gehen. Die Tagesstruktur tut ihm sehr gut (die Autismusdiagnose steht noch aus). Er ist neugierig und aufgeweckt. Er liebt es seine Umwelt zu erkunden und Kontakt mit seinen Mitmenschen aufzunehmen. Er liebt Musik und seine Kinderlieder über alles und hält sich seine Musikspielzeuge eng an sein Ohr.

Wir sind gespannt, welche Hürden Henning noch überwinden und welche Barrieren er sprengen wird. Wir hätten uns kein besseres Kind wünschen können. Henning ist eine Bereicherung für alle Menschen die ihn kennenlernen. Unser neues Motto ist "Hauptsache glücklich!"

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